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Texte

"Das Einfache ist das Schwierige", Dr. Gabriele Lohberg
"SPIEL von MATERIE und ZEIT", Ingrid Helena Helmke
"Reisig Stein : Glas Stahl", Dietrich E. Sattler


SPIEL von MATERIE und ZEIT

Ingrid Helena Helmke

Ich bin fasziniert von Menschen, die spielen können. Bei Gabriele Schulz allerdings von Spiel zu sprechen, mag wie Herausforderung klingen. Ihr bisheriges Werk, ihre diszipliniert klaren Objekte wollen dem widersprechen: Als erstes die eruptive, nahezu aggressive Dynamik der frühen Steinskulpturen. Oder die strenge, energiegeladene Künstlichkeit der Reisigskulpturen, die innere Spannung nur in der äusseren Gestalt zur Ruhe flechten und organisches Wachstum in geordnete Künstlichkeit zwingen. Oder die mystisch verschlossene Würde der Häuser aus Schieferplatten. Spiel setzt Eingeständnis an die Materie und deren Schwerkraft voraus und fordert zugleich Beherrschen des Geistes, der dieser Materie ihre Gebundenheit nimmt und sie zum Tanzen bringt. Unter dieser zweifachen Regie entstanden die neuen Werke: Spiel, aber nicht Verspieltheit, sondern Wandel, Bewegung und Veränderung.

Wie Einschlüsse im Gestein - von anderem Wesen aber in Einheit mit dem Ganzen - stehen linsen- und kubenförmige Objekte oder Objekte, die an Kompass- und Armaturennadeln, sogar an weiche Kissen denken lassen, momentan im Brennpunkt. Im nebelgrauen und pudrig feinen Pastelltönen - violett, rosé, türkis, hellblau - bilden sie eine poetische farbige Insel im Gesamtwerk. Zwar war Farbe als vielfältige Nuancen im Werk von Gabriele Schulz bereits vorhanden, aber jetzt ist sie vielfarbiger. Parallelen schimmern auf: Das violette Objekt gleicht dem Herbstrot des Reisig, die fensterartigen Einlassungen in den grauen Quadern erinnern an die meerfarbenen oder zart apricot leuchtenden Lichtpunkte der Dolomite und des Diabas. Sie alle geben sich wie Spielarten einer einzigen luftig flüchtigen Substanz.

Für die Objekte der Jahre 2000 und 2001 schafft Gabriele Schulz ein neues Material und ordnet sie ausdrücklich dem Spielerischen zu. Massive Objekte, sowohl kompakt wie flexibel, irritierend schlicht, undefinierbar zwischen Architektur und Skulptur. Stille strömt um sie, doch lautlos indizieren sie Bewegung. Sie wirken schwerelos und je nach Neigung des Betrachters dürfen sie hängen, stehen, schweben. Ihre Ordnung ist eine instabile Ordnung. Oder - sie folgen nicht nur einer, sondern mehreren Ordnungen. Sie bewegen sich zwischen Zentrierung und Symmetrie. Sie haben keinerlei narrativen Inhalt und bestehen ohne Requisiten des Menschen und seines Seins - sie sind reine künstlerische Form.

Es ist spannend, den Kongruenzen, Resonanzen, Reflektionen und anderen Querverbindungen zwischen diesen und den früheren und parallelen Werken nachzuspüren, die das Gesamtwerk mit den Fäden logischer Kohärenz durchziehen. Gemeinsam ist allen Objekten die Gestalt, die sowohl streng architektonisch formuliert ist als auch organische Körperhaftigkeit aussagt. Reisigskulpturen als schlanke Quader und Kegel. Schieferstücke als filigrane Kuben. Jetzt quadratische oder rechteckige Quader und kleine oder grosse Linsen: Verschiedene Materialien in identischen Umrissen. Gemeinsam ist der Aufbau vom inneren Kern bis zur vollendeten Gestalt. Reisigskulpturen und Schieferhäuser entstehen aus naturgegebenem und in seiner Gestalt belassenem Material. Die wie archaisch in Bindungen verflochtenen oder aus lockeren, flachen Lagen gefügten Körper vereinen geheimnisvoll und rätselhaft fragile Erscheinungen und stabiles Sein. Diese Grundtechnik wurde beibehalten. Jetzt jedoch durchläuft das im Ursprung ebenfalls organische Material zuerst eine Verwandlung zu formbarem Stoff, und der Arbeitsprozess wird mit jeder neuen Schichtung bzw. jeder neuen Haut wieder verdeckt. In erprobter Struktur und nach gleichem Formgesetz wandeln sich die Schichtungen und gleichen Wachstumsstufen in Pflanze und Gestein. Die gestalteten Objekte aber sind homogen in ihrer Einheit. Die lebendigen gestalterischen Impulse - bisher hinter dicht verwobener, aufgeschichteter und glatt geschliffener Undurchdringlichkeit verhalten - bekennen sich hier in diesem an gewohnte Koordinaten nicht mehr gebundenen Objekte gelöst und frei zu sich selbst. Solange nur das Auge sie betrachtet, scheinen sie - glatt und schwer - wie Stein. Nimmt man sie in die Hand, wagt man das Jonglieren und Balancieren, beginnen sie den Tanz der schwerelosen Form. Sie transzendieren das Hier und Jetzt, verbinden Rationales und Gefühlsmässiges sowie Materielles und Spirituelles, Kühles und Poetisches. Ihre einfache Form schiebt dabei die Geometrie ganz in den Hintergrund.

Die Monde wirken im ersten Moment unheimlich und mythisch. Die unregelmässigen, scheinbar stummen Oberflächen und die runden Formen, die Inbegriff des sich Bewegenden sind, erzeugen Spannung, in der die grossen matt oder glitzernd mit Lavastaub bedeckten Körper vibrieren und auf ihrem daumenbreiten Rand rollen, als kämen sie aus unsichtbaren Tiefen des Raumes auf uns zu. Wie etwas Organisches, mit Geschehen Behaftetes, das im Wachsen Energie aufnimmt und sie wieder abstrahlt. Oder unbekannte Planeten, die sich in unserem Bewusstsein als Verkörperungen des Fremden Raum schaffen.

Der Himmel ist als hätte Gabriele Schulz nur mit ihren Augen ein Stück Poesie aus den sommerlichen Firmament geschnitten, damit die Farben des frühen Himmels angehalten und in Form eine Skulptur dem Betrachter geschenkt. Alle Materialität tritt zurück. Man sollte dies Objekt auch nur mit den Blicken steicheln - ein zartblaues Kissen, mit zwei kleinen Schleierwölkchen, das Wohlbehagen und Geborgenheit assoziiert und sich als Ort für Sehnsüchte und Träume von Licht, Sommer und Sonne anbietet. Aus solchem Blickwinkel ist Schönheit mehr als nur Farbe und Form - sie ist auch Weite, Licht und Luft. Aus diesem Grunde wirkt sie unberührbar. Wie Bälle oder Handschmeichler lässt sich das Spiel der pastellfarbenen Linsen manipulieren - in kalkulierter Anordnung oder aleatorisch freiem Wurf. Auf ähnlich varieblen Relationen basieren die dynamischen Geheimnisse von Rhythmus und Innen Aussen. Hier kommt hinzu, dass Aussenform und Innenform, die quadratischen oder rechteckigen Körper und die eingelassenen Fenster, untereinander ein zusätzliches Beziehungsraster entwickeln. Offensichtlich sind nur die parallele und diagonale Dynamiklinie. Transparent sind die Fenster nicht, das Innen bleibt verrätselt.

Das eingenwilligste, extrem lange und extrem schmale Objekt Richtung - in extrem violetter Farbe - signalisiert Aufbruch, als sollten Räume entgrenzt und Positionen im Unerfahrenen anvisiert werden. Diese Werke geben sich der Phantasie anheim, der Betrachter soll mit ihnen sein eigenes Gedankenspiel spielen und seiner eigenen Kreationsfähigkeit begegnen. Während jede Steinskulptur auf ihrer Bodenfläche ruhend festgelegt ist, und während die Häuser sich auf ihren langen Beinen nur imaginär fortbewegen und an anderem Ort sein könnten, verweigern sich die Objekte der neuen Serie, die nicht durch Schwere Fuss fassen, jeder Verankerung im Raum. Explizit fordern sie zu spielerischem Umgang auf. Ihr wahres Thema ist das Schattenspiel. Ein Spiel von Licht, Raum und Farbe, in dem der Betrachter nicht mit den Objekten spielt, sondern mit ihrer Wirkung, mit ihrem labilen und gehaltenen Gleichgewicht. Die Bewegung muss er selbst erfinden, sonst geht ihm ihr Sinn verloren. Durch Form, Reihenfolge, Zuordnung und Abläufe kommen subjektiv unterschiedliche Ergebnisse zustande, und die nahezu uneingeschränkten Möglichkeiten werden zum Spiegel dessen, der mit den Objekten umgeht - sei es handgreiflich oder nur imaginär und in Gedanken.

Kunstwerke von Gabriele Schulz sind vielfache Metaphern. Den stärksten metaphorischen Anklang haben wohl die an Schilde gemahnenden Formen Sureja. Ihnen haftet kaum Spielerisches an, im Gegenteil. Plötzlich wirkt das Grau fahl und stumpf, plötzlich ist Bewegung verhindert und Zeit verschnürt. Umwickelt, zugebunden, gewaltsam eingeschnürt durch fahl weisse, handbreite Binden, auf denen das Unheimliche sich dunkelgrau in Linien, Zacken und Spitzen manifestiert. Versperrungen, von aussen aufgezwungen, von innen als Abweisung getragen, verhindern die freie Entfaltung der Form. Die drei Objekte entstanden in den Wochen des intensiven westlichen Blicks auf das Leben der Frauen in Afghanistan. Wie der aufgebrochene Schrei in früheren Steinskulpturen stehen sie als Dokument für alle Zeiten und alle Orte, an denen Gleiches geschieht.

Gabriele Schulz richtet ihre klare Weltsicht auf die Wirklichkeit, betont innere Beziehungen zu der sie umgebenden Natur, bezieht aus ihr Inspiration und benutzt ihr Material, macht aber mit dem Material etwas anderes als Natur oder Naturbild. Aus einem ästhetischen Blick auf Natur öffnet sie der Imagination weit mehr Ebenen als es die reine (übernommene) Natur täte. Sie transfiguriert Form- und Farbbeziehungen in eigenständige Kunstobjekte. Dieselbe Weltsicht bleibt stets aber auch auf das Symbolische gerichtet und gibt jedem Objekt mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Die mathematischen Körper gibt es in der Wirklichkeit nicht. Sie sind Ergebnis der denkenden Berechnung, Erkenntnisobjekte der Mathematik. Nach griechischer Philosophie hat Mathematik die Kraft, die Natur und die ihr innewohnende gesetzliche Wahrheit abzubilden, das bedeutet die innere Geordnetheit des Universums, der sich Gabriele Schulz verpflichtet fühlt. Alles ist Zahl, die Häuser, die Kegel, die Quader, die Ellipsen, die Linsen. Mathematik jedoch ist mehr als Wissenschaft, sie ist ein Spiel des wachen Geistes. Sie ist so schön wie die Planeten oder diese Monde, wie die Musik oder die Harmonie dieser Kunst-Körper.

Auch jeder Stoff bringt seine Geschichte und sein Bedeutungs- oder Bildfeld mit und unterliegt eigener Erfahrung in der Zeit, die über Assoziationsketten im Kopf des Künstlers sichtbar werden. Der neue Werkstoff Zellulose hat nach seinem natürlichen Wachsen einen weiteren Existenzzyklus durchlaufen. Als zuvor bedrucktes Zeitungspapier und in einem begrenzt zeitlichen Moment Teil kulturellen Geschehens, ist er befrachtet mit Informationen, Signalen, Emotionen, die jetzt verwischt, aufgelöst, getilgt und unsichtbar gemacht doch im Stoff existente Spuren hinterlassen - Energien, die auch nach der Transformation fühlbar bleiben und das geistige Fluidum der Objekte bestimmen. Der Stoff geht in die sich permanent erneuernde Gegenwart der Kunstgestalt über. Die Objekte strahlen etwas von dieser Verwandlung aus.

Bei Gabriele Schulz muss man sich darauf einlassen, dass es Energien gibt, die man nicht sieht, und die Dinge ein Wesen haben, das ohne unser Zutun agiert. Dafür kann man in ihren Werken die Erfahrung der eigenen Freiheit machen und die Erfahrung der eigenen Imagination.

 
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