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Texte

"Das Einfache ist das Schwierige", Dr. Gabriele Lohberg
"SPIEL von MATERIE und ZEIT", Ingrid Helena Helmke
"Reisig Stein : Glas Stahl", Dietrich E. Sattler


Das Einfache ist das Schwierige

Dr. Gabriele Lohberg

Nicht jede Kunstform möchte und kann durch sich selbst sprechen. Häufig ist die Reflexion über die Geschichte und Gegenwart der Kunst Bestandteil des Produktes, für Laien oft nicht erkennbar. Die Skulpturen und Ensembles von Gabriele Schulz stehen in ihrer formalen Gestalt - so unkonventionell sie wirken - in der Tradition der Bildhauer und Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts. Nehmen wir das Phänomen der Reduktion der Bildsprache auf einfachste, großzügige Grundformen. Dies war kennzeichnend für die Abstraktion, die Constantin Brancusi und andere Anfangs der 20er Jahre dieses Jahrhunderts entwickelten. Sie ist heute fester Bestandteil der künstlerischen Sprache, auch der von Gabriele Schulz.

Die Einführung von Natur - nicht Naturformen - in die Kunst ist ein Ergebnis des veränderten Kunstbegriffs der 60er Jahre. Hier fand eine Expansion und ein Evolutionssprung statt, vor allem was das skulpturelle Schaffen anbelangt. Die Bereiche der Kunst dehnten sich in die Natur aus. Die weit verzweigten Gebiete der "landart" oder Hans Haakes "Gras Würfel", der Kunst mit Natur verbindet, seien stellvertretend genannt.

Obwohl das Schaffen von Gabriele Schulz stark von ihrer Individualität geprägt ist und für ihre Skulpturen die Kunstgeschichte nicht bemüht werden muß, darf die literarische Betrachtung Hinweise auf Verbindendes nicht vernachlässigen. Im Gegenteil. Das Einbetten in Zusammenhänge ist ein wichtiger Zugang zu ihrem Werk, so einzigartig jedes in Stein gehauene oder verflochtene Werk aus Reisig uns gegenübersteht.

Aus den bildhauerischen Werken spricht die Kenntnis des Materials sowie die Freude, aber auch Anstrengung und Konsequenz bei seiner handwerklichen Bearbeitung. Sie bildet die Grundlage für Gabriele Schulz, um mit den Eigenschaften des Steins oder der Zweige das Innen und Außen der Skulptur zu gestalten, aufzubauen und ihren bildnerischen Ideen eine entsprechende Form und Aussage zu geben. Durch diese Verbundenheit mit dem Material kann ein Stein auch als Flamme erscheinen, gleichsam als erstarrtes Symbol von auflodernder Bewegung. Ihr Ursprung und ihre Vollendung sind hier als Plastik zusammengefaßt. Jedoch evoziert die aufstrebende und sich zuspitzende Form eine Fortsetzung im Raum sowie in der Imagination. Diese Arbeit von 1990 zeigt bereits, daß es der Künstlerin auf grundsätzliche Aussagen ankommt, nicht auf die äußeren Erscheinungsformen der sogenannten Realität.

Innen und Außen ist ein Thema, das Gabriele Schulz als Bildhauerin in ihren Steinskulpturen fasziniert, so in "Les Eyzies". Das berühmte Zitat von Michelangelo Buonarotti, er arbeite aus dem Marmor nur die Figur heraus, die in diesem von Anfang an enthalten ist, wird nun von ihr auf neue Weise umgesetzt, weitergeführt und gleichzeitig zu seiner Ursprungsform zurückgebracht. Der unbehandelte Stein ragt in seiner schroffen Natürlichkeit auf, die sich vor und in Jahrtausenden gebildet hat. "Unbehandelt" kann nur meinen: von keinem Menschen geformt. Die Naturform wird erst bedeutsam durch die kristalline Innenstruktur, die die Künstlerin dem Natürlichen hinzufügt und entgegenstellt. Naturform und Kunstform steigern sich komplementär. Wie ein Amethyst von außen eine beliebige Form aufweist, im Inneren jedoch die Naturgesetzlichkeit im Aufbau der Kristalle deutlich werden läßt, so entwickelt sich diese Skulptur. Sie steht damit zwischen Stein gewordener Natur und Natur gewordener Kunst.

Gabriele Schulz ordnet mit ihrer Kreativität und mittels der Geometrie die Natur. Das Menschlich-Kreatürliche nimmt dabei die Gesetzte der Natur auf, sei es durch das Hervorheben der Beschaffenheit des Materials, durch den ihm eigenen inneren Aufbau oder in der Reduktion von Erscheinungen auf ihre Grundformen. Das Ordnen der chaotisch anmutenden Vielfalt der Natur läßt Vergleiche zum Weltbild Johann Wolfgang Goethes oder neuester Chaosforschung zu.

Es mag eine widersprüchliche Formulierung sein, wenn Gabriele Schulz die Erkenntnisse, die sie durch die Nähe zur Natur gewonnen hat, nutzt, um durch ihre Kunst der Natur etwas hinzuzufügen, um sich so von ihr zu entfernen. Die klaren Formen der Arbeiten von Gabriele Schulz machen dies plausibel. Eleganz und Leichtigkeit spricht aus den künstlerischen Harmonien, die sie aus der Natur webt. Damit geht eine teilnehmende Distanz einher die gestaltet ist von dem tiefen Erleben und Einfühlen in die Wesenszüge der Natur. Gabriele Schulz gibt dies nicht wieder, sondern bildet aus diesem Empfinden den lebendigen Organismus ihrer verwobenen Reisigarbeiten. Zweifellos sind es die scheinbar widersprüchlichen Aspekte, die die Werke so reizvoll undurchsichtig und in ihrer Gesamterscheinung doch überraschend klar wirken lassen. So werden die unüberschaubare Bewegung, die innere Struktur durch die einfachen geometrischen Außenformern gehalten. Das Innen und Außen, die Bewegung und die feste Form werden so aneinander gebunden. Dadurch, daß sie einander bedingen, erreicht ihr Zusammenkommen in der Skulptur einen Grad der "inneren Notwendigkeit" (W. Kandinsky), der in großer formaler Eigenständigkeit einen neuen künstlerischen Organismus bildet. Georg Friedrich Hegel formuliert in seiner "Ästhetik" ähnlich: "Die (Kunst-) Gegenstände ergötzen uns nicht, weil sie so natürlich, sondern weil sie so natürlich gemacht sind".

Die Erforschung der Zusammenhänge, Verbindungen und Gesetzmäßigkeiten in der Natur ist Gabriele Schulz mit künstlerischen Mitteln auf der Spur. Undurchdringlich eng verwebt sie die dünnen, biegsamen Zweige der Birken. Die Arbeit von einem Kern zur äußeren Kontur, zu einer sich nach außen hin abschließenden Form in ihren bildhauerischen Arbeiten ist sinnlich nachvollziehbar. Die eingewobene Zeit ist in ihrer Vergangenheit gegenwärtig. Die Natur, festgehalten im Zustand des Herbstes, wurde durch ihre Transformierung in die künstlerische Form aus dem jahreszeitlichen Zusammenhang herausgelöst. Sie wurde hinübergeführt in Formen, die Allgemeingültigkeit und die Vorstellung von Dauer bis zur Unveränderlichkeit versprechen. In der "Ellipse" werden die Äste zu einer Gestalt verwoben, die an "Baum" denken läßt. Damit ist nicht an irgendeinen Baum gedacht, sondern an die Vorstellung der Künstlerin, die sie mit dem Begriff verbindet. Dabei sind es nicht so sehr das Wachsen und Werden, sondern die Schönheit, die innere und äußere Harmonie, die sie zu diesen Formen bewegen. Sie stellt nicht, wie es Hegel einführte, das Kunstschöne höher als das Naturschöne, sondern verbindet sich und uns mit beidem. Und umgekehrt wird - nach Theodor W. Adorno das Naturschöne erst durch das Kunstschöne für uns erkennbar. Die Natur in Gesetzen der Geometrie gedacht ist kein Widerspruch, gründen sich doch philosophische Weltbilder auf diese Anatomie. Nur auf den ersten Blick herrscht Beliebigkeit. Selbst die Meereswellen haben ihren Rhythmus und auch der Wind und die Wolken folgen den Gesetzen der Natur.

Künstlerische Arbeiten aus grundlegenden Geometrien, wie Kegel und Säule oder zu einem Tor verbundene horizontale und vertikale Rechtecke evozieren keine Assoziationen zu gewachsenen Formen. Hier sind die Zweige weniger Bedeutungsträger als vor allem Mateial für ein Relief, eine Skulptur. Seine feine Struktur und nuancenreiche Farbigkeit lasen die distanzierten, weil perfekt erscheinenden Geometrien atmen. So mit Leben gefüllt, geben sie der radikalen Klarheit, Kühnheit und Abgrenzung nach außen die Wärme des Solitären.

In Kombination mit Metall und Glas ("Flugzeuggärten") wird das Verlangen nach Struktur deutlich. Gleichzeitig stellt sich eine Irritation durch das nicht naturgeformte andere Material ein. Zudem durchbricht die neue Form die in sich geschlossene, ruhige äußere Kontur. Das Gleichstellen von Kunst- und Naturform, das Streben nach individuellem Ausdruck durch den künstlerischen Eingriff und die Formvollendung durch Widersprüchliches wird hier besonders deutlich. Der Wechsel von künstlerischem und natürlichem Formprozeß wird zum Vexierspiel, mit dem Gabriele Schulz uns in Atem hält.

"Denn die Kraft des Lebens und mehr noch die Macht des Geistes besteht eben darin, den Widerspruch in sich zu setzen, zu ertragen und zu überwinden" Georg Wilhelm F. Hegel.

 
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