letzte Aktualisierung: 24.03.2009 |
Texte"Das Einfache ist das Schwierige", Dr. Gabriele Lohberg Reisig Stein : Glas Stahl Dietrich E. Sattler I ich reflektiere das was ich sehe ohne vorher gefragt zu haben was ich sehe es muß mit dem was ich sehe zusammenhängen mit dem bestürzenden material und den reinen formen der kunstgegenstände daß ich diesmal genötigt bin jenes dreiecksverhältnis zur sprache zu bringen in dem ich mich bei gelegenheit von kunstausstellungen exponiere das überraschend unübliche nötigt mich dem üblichen auf den grund zu gehen : das übliche dagegen wäre dasjenige gewesen womit ich jederzeit zu rechnen hatte alle trivialeren beweggründe abgerechnet haben personen die allein schon durch die herstellung von kunstgegenständen zu erkennen geben daß ihnen das übliche nicht genügt mit dem unverständnis oder der rezeptionsschwäche derjenigen zu rechnen die sich aus welcher ursache immer für das unübliche der kunst interessieren also wird eine person gesucht welche die bewußtseinslücke zwischen den schweigenden kunstgegenständen und den gleichfalls schweigenden betrachtern mehr oder weniger notdürftig schließt ist eine person gefunden eine solche vielleicht deren rezeptives potential dem produktiven potential der künstler entspricht muß damit gerechnet werden daß deren erklärungen nicht kongruent sind mit denen die sie selber abgegeben haben würden in diesem vorgegebenen verhältnis reflektiere ich was ich sehe ohne vorher gefragt zu haben was ich sehen soll II im titel meiner erklärungen habe ich die von Gabriele Schulz getrennt oder kombiniert verwendeten materialien so angeordnet daß der gegensatz archaisch : modern ins auge fällt archaisch ist das reisig der ersten hütten in denen gestern noch die kinder für einen flüchtigen augenblick das dasein der ureltern wiederholten das brennbare im wald gesammelt in wellen zusammengebunden und auf gebeugtem rücken nach hause getragen um jeden morgen in der frühe den herd anzufachen oder um den steinofen aufzuheizen in welchem wenn die asche herausgefegt war noch gestern das brot gebacken wurde der unverzehrt brennende dornbusch an anfang und ende der prophezeiten geschichte oder das vergängliche gezweig aus dem vögel ihr nest und menschen sich körbe und braut- oder marterkronen flochten : der schwarze salzwald der salinen : das unzugängliche gestrüpp der märchen : behausung der letzten frei lebenden wesen: dickicht der résistance inkommensurabel und doch organisiert wie die initialen einer verstoßenen schrift vertrockneter überrest einer gestern blühenden und früchtetragenden natur : noch eine zeitlang anwesend : jederzeit des zerfalls oder brands gewärtig III das wäre als stillschweigende sprache auch da wenn die künstlerin ein verdorrtes gebüsch als mahnmal und erinnerungszeichen im kunstraum plaziert hätte indem sie aber der erst im abgestorbenen zustand wirklich formbaren natur die intellektuelle formenwelt menschlicher vorstellungen aufzwingt entsteht unabhängig vom ästhetischen effekt eine zweite quasi kulturkritische reflexionsebene sie stellt sich unvermittelt her wenn dem betrachter die nähe zur beschnittenen natur der absolutistischen gärten zu bewußtsein kommt denn mit den formalen erscheinungen lassen sich nun auch die bewußtseinsformen parallelisieren denen eine geschichte lang die vorgefundene natur erst dann eine brauchbare war wenn sie die sichtbaren male der unterjochung trug und weil mit den jetzt erst möglichen in gang gesetzten sanktionierten und rücksichtslos durchgeführten genoziden an den populationen der natur diese in aller unschuld übliche mentalität ihre unschuld verloren hat ist das tun der künstler das jenen manipulativen vorgang wiederholt gleichfalls nicht mehr in aller unschuld möglich selbst wenn die hierbei freigesetzten energien zugleich auch die züge obsessiver selbstverwirklichung tragen : selbst wenn alle öffentlichen äußerungen der kunst in paradoxer weise bestandteil werden des betriebs dem sie opponieren : garantiert doch die kontradiktorische spannung zwischen kunst und kulturbetrieb einen tragischen sinn der höher ist als ihre jeweils benennbaren prämissen und resultate die quasi spielerische wiederholung der wirklichen denaturierung durch die kunst ist darum in aller form tragisch weil sie nichts anderes sein kann als ein echo auf die mutierte menschenwelt die ihr als zweite denaturierte natur gegenübersteht IV wenn aber das worauf die kunst reflex ist inzwischen die form des unsäglichen angenommen hat kann das wohlgefallen das ihre gegenstände gleichwohl noch auslösen nur eine täuschung über ihren tragischen wahrheitsgehalt sein der ihnen untergeschobene unterhaltungswert ist darum objektiv anstößig weil er vom vorab entwerteten jener zwar virtuellen jedoch kunstfernen menschenwirklichkeit in nichts sich unterscheidet dieses prêt à goûter das der ästhetische schein nebenbei vermittelt ist aber selbst teil des tragischen gehalts : seine euphemistische hülle unter der sich mit der trübsal der welt alle trübsal der kunst verbirgt : nämlich die kaum noch erträgliche wahrheit inmitten des elends der moderne als künstler produzieren zu müssen in dieser lage muß sich das einsam sich abarbeitende bewußtsein nach einem anachoretischen dasein sehnen weil aber der zweck künstlerischer arbeit ein explizit exoterischer ist werden die vorgezeigten objekte geheimoffenbare spuren jener gegenweltlichen nach innen gehenden sehnsucht tragen V also ist das obsessiv verdichtete und zu versatzstücken der elaborierten welt verformte dickicht als schutzwall oder durchaus regressiv als totem des verwundeten bewußtseins zu lesen ebenso die leeren steinhäuser aus geschichtetem schiefer : so hoch auf stählernen winkeln daß keine flut sie je erreichen darf mit dieser ausstellungsgerechten positionierung ist aber auch der notwendige zeitsprung vollzogen : ist das atavistische objekt urbanisiert und dialektisch ins gleichgewicht gebracht ähnliches leistet das alles ästhetisierende alles in die distanzierte sphäre der exponate entrückende glas unter dessen planer oberfläche das in plastische formen gepreßte gezweig zugleich auch die kunstform des materialbilds annimmt die latente melancholie der objekte verstärkt sich durch die fragilität des materials und seiner konstruktion : diese kunstgegenstände verbreiten nicht die pyramidale täuschung ewig zu sein es ist die kaum mißverstehbare geste einer künstlerin die mit ton begann dann überging zu kalkstein granit und diabas hinweg und rückweg beinah derselbe |
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